Richtlinien

Inhaltliche und organisatorische Aspekte der kardiovaskulären Prävention und Rehabilitationinien

1 Allgemeine Aspekte der kardiovaskulären Rehabilitation

Die kardiovaskulären Erkrankungen sind auch in der Schweiz führende Ursache von Todesfällen und Hospitalisationen, die Bedeutung der direkten und indirekten sozio-ökonomischen Konsequenzen ist somit gross. Dies trotz Fortschritten bei den Erkenntnissen bezüglich pathophysiologischer Zusammenhänge, der Anwendung immer besserer diagnostischer Methoden und der ständigen Verbesserung der therapeutischen Möglichkeiten. Aufgrund dieser Tatsache haben sich die Strukturen der kardiovaskulären Prävention und Rehabilitation in den letzten Jahren rasch entwickelt. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie ESC hat in ihrer Deklaration von Barcelona 1999 erklärt, dass jeder Patient nach einem akuten kardiovaskulären Ereignis zumindest einmal in seinem Leben die Chance haben sollte, ein kardiovaskuläres Präventions- und Rehabilitationsprogramm zu besuchen.

Zu den nachgewiesenen Effekten der kardiovaskulären Rehabilitation (wissenschaftliche Evidenz A) gehören:

  • Abnahme der Zahl der Rehospitalisationen und der Kosten des Spitalaufenthaltes für den Fall einer Rehospitalisation
  • Raschere Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeit und höhere Rate der Arbeitsfähigkeit
  • Reduktion der Mortalität und des Risikos eines erneuten kardiovaskulären Ereignisses
  • Verbesserung der Lebensqualität und Verminderung der negativen psychosozialen Konsequenzen der Krankheit
  • Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Alltagbewältigung
  • Stopp der Progression und teilweise Regression arterosklerotischer Wandveränderungen
  • Stabilisierung der Herzinsuffizienz und Reduktion der Notwendigkeit oder zumindest Hinausschieben des Zeitpunktes einer Herztransplantation

Die kardiovaskuläre Rehabilitation nimmt eine Schlüsselstellung in der Behandlung der Herzpatienten ein. Da nur mittels strukturierter umfassender kardialer Rehabilitation eine Verbesserung der zentralen Verlaufsparameter nachgewiesen werden konnte, sollte die kardiovaskuläre Rehabilitation nach einem akuten Ereignis im Rahmen eines strukturierten ambulanten oder stationären Programmes von mehreren Wochen Dauer erfolgen. Sie orientiert sich an einer umfassenden Betreuung und Behandlung der betroffenen Patienten und berücksichtigt die verschiedenen physischen, psychischen und psychosozialen Aspekte der kardiovaskulären Erkrankung des Patienten. Das Behandlungsziel besteht in einer möglichst optimalen Wiederherstellung der physischen und psychischen Integrität des Herzpatienten und die möglichst rasche und möglichst umfassende berufliche und soziale Wiedereingliederung. Sie strebt einen nachhaltigen Effekt auf die Gesundheit an und ermöglicht dem Patienten zudem, seine Krankheit besser zu verstehen und damit auch seine Krankheit möglichst gut zu bewältigen.

Die kardiovaskuläre Rehabilitation und Sekundärprävention spielt sich in drei Phasen ab. Die erste Phase beginnt im Spital nach dem Akutereignis (Phase I); nach dem Spitalaustritt erfolgt der Übertritt in eine spezialisierte Institution mit einem strukturierten ambulanten oder stationären Intensivprogramm (Phase II); der Langzeiteffekt resp. die Nachhaltigkeit der in der Phase II erzielten Ergebnisse wird gesichert durch die Langzeitrehabilitation z.B. in Herzgruppen (Phase III).

Obligatorische Inhalte eines solchen Rehabilitationsprogrammes sind:

  • Medizinische Evaluation
  • Kontrollierte körperliche Aktivität
  • Bekämpfung der kardiovaskulären Risikofaktoren
  • Anleitung zu einem herzgesunden Lebensstil
  • Stressmanagement
  • Psychosoziale Betreuung und praktische Ratschläge für die soziale und berufliche Wiedereingliederung

1.1 Indikationen zur kardiovaskulären Rehabilitation

Die kardiovaskuläre Rehabilitation ist indiziert bei Patienten mit akuten und chronischen kardiovaskulären Erkrankungen, z.B.:

  • Patienten mit koronarer Herzkrankheit nach Myokardinfarkt, nach koronarer Revaskularisationsoperation oder Koronardilatation, Patienten mit medikamentös stabilisierter Angina pectoris
  • Patienten mit St. n. anderen Interventionen am Herzen oder den grossen Gefässen, z.B. nach Herzklappenoperationen und Aortendissektion
  • Patienten mit Myokarderkrankungen (z.B. restriktive, dilatative, ischämische oder hypertensive Herzkrankheit), mit oder ohne Herzinsuffizienz
  • Patienten mit peripher-arterieller Verschlusskrankheit

Die kardiovaskuläre Rehabilitation kann ebenfalls indiziert sein bei speziellen Zuständen wie z.B.:

  • Patienten mit gewichtigen kardiovaskulären Risikofaktoren (Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Bewegungsmangel, Nikotinabusus, Stress, Adipositas) mit dem Ziel einer intensiven Einleitung präventiver Massnahmen
  • Patienten mit funktionellen kardiovaskulären Beschwerden, mit dem Ziel einer Verbesserung der kardiovaskulären und körperlichen Leistungsfähigkeit und damit gleichzeitig einer psychischen Stabilisierung

1.2 Kontraindikationen zur kardiovaskulären Rehabilitation

  • Maligne, nicht kontrollierte ventrikuläre Rhythmusstörungen
  • Manifeste, nicht medikamentös kontrollierte Herzinsuffizienz
  • Lungenerkrankung mit ausgeprägter Hypoxie, die auch mit Sauerstoffgabe nicht ausreichend zu kompensieren ist
  • Zusatzerkrankungen, welche durch körperliche Aktivität verschlechtert werden oder eine solche verunmöglichen
  • Schwerwiegende muskuloskelettale Probleme mit geringem Autonomie- und damit auch Wiedereingliederungspotential
  • Schwere Psychopathie oder Suchtkrankheit mit manifester, nicht kontrollierter Abhängigkeit

2 Verordnung der kardiovaskulären Rehabilitation

Die Verordnung einer kardiovaskulären Rehabilitation gehört in die Hand des behandelnden Arztes und muss die spezifischen Bedürfnisse des einzelnen Patienten berücksichtigen. Die wichtigsten Voraussetzungen dazu sind: Motivation des Patienten zur Teilnahme am Programm, seine Möglichkeiten, die Informationsangebote zu verstehen und auch die Möglichkeit zur Teilnahme an einem angepassten körperlichen Aktivitätsprogramm resp. das Fehlen von Kontraindikationen dazu. Die vorgängige Durchführung eines Belastungstestes erlaubt einerseits das Erkennen von Risikopatienten und andererseits die Planung eines optimalen Trainings. Die Wahl des Rehabilitationsmodus muss in den Händen des behandelnden Arztes bleiben, welcher Vorteile und Nachteile der einzelnen Rehabilitationsformen kennen sollte. Eine komplette Liste der kardiovaskulären Rehabilitationszentren in der Schweiz ist auch auf der Webseite der Schweizerischen Herzstiftung www.swissheart.ch > Rehabilitation > Herzerkrankungen > ambulante, resp. stationäre Rehabilitation abrufbar.

2.1 Stationäre Prävention versus ambulante Rehabilitation

Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten, die Phase II der kardiovaskulären Rehabilitation durchzuführen, und zwar entweder ambulant oder stationär. Unabhängig davon, ob das Programm ambulant oder stationär ist, sind die Rehabilitationsziele im Grundsatz die gleichen. Aufgrund ihrer speziellen Struktur ermöglichen die stationären Programme in der Regel eine intensivere und komplexere Rehabilitation. Falls keine medizinischen Gründe für die Verschreibung einer stationären Rehabilitation vorliegen, wird eine ambulante kardiovaskuläre Rehabilitation in einem anerkannten Zentrum empfohlen. In jedem Fall soll aber eine möglichst große Nachhaltigkeit der eingeleiteten sekundärpräventiven Massnahmen angestrebt werden durch die Empfehlung zur Teilnahme in einer Herzgruppe. Nur eine längerfristig anhaltende Lebensstilmodifikation mit fortgesetzter regelmässiger körperlicher Aktivität erlaubt es, die erzielten Verbesserungen auch in eine langfristige Verbesserung der Prognose umzusetzen.

Die individuelle Indikationsstellung zu einer stationären oder ambulanten kardiovaskulären Rehabilitation ist abhängig von folgenden Faktoren:

  • Mobilität des Patienten
  • Schweregrad der kardiovaskulären Erkrankung und der damit verbundenen körperlichen Beeinträchtigung
  • Subjektive Wahrnehmung des eigenen Gesundheitszustandes
  • Soziale und berufliche Situation
  • Existenz oder Fehlen eines adäquaten ambulanten Rehabilitationsprogrammes in der Nähe des Wohnortes

Mögliche Vorteile einer stationären Rehabilitation:

  • Möglichkeit eines früheren Programmbeginnes nach dem Akutereignis
  • Betreuung von komplexen Krankheitsbildern mit erhöhtem Risiko und noch fehlender klinischer Stabilität
  • Aufnahme von älteren und behinderten Patienten, vor allem auch mit schwerwiegenderen Komorbiditäten
  • Intensivierte Massnahmen zu einem möglichst reibungslosen Wiedereintritt in das tägliche Leben zur Vermeidung von Hilfsbedürftigkeiten und Abhängigkeiten bei der Alltagsbewältigung zu Hause
  • Rasche Wiederaufnahme der vollen Erwerbstätigkeit

Mögliche Vorteile einer ambulanten Rehabilitation:

  • Erholung in der gewohnten Umgebung
  • Einbezug der Familie/des Partners in die Modifikation des Lebensstils
  • Aufzeigen von Aktivitätsmöglichkeiten in der Umgebung des Wohnortes
  • Möglichkeit einer unmittelbaren Wiederaufnahme einer teilzeitigen Arbeitstätigkeit
  • Erleichterung einer Überführung in eine lokale Herzgruppe

Eine stationäre kardiovaskuläre Rehabilitation soll im allgemeinen in folgenden Fällen in Betracht gezogen werden:

  • Komplexe medizinische, psychische, soziale, berufliche oder präventive Rehabilitation
  • Patienten mit sehr geringer oder ausgesprochen grosser körperlicher Leistungsfähigkeit
  • Kein ambulantes, den Bedürfnissen des Patienten angepasstes, Rehabilitationsprogramm in der Nähe des Wohnortes

Eine ambulante Rehabilitation ist im Prinzip angezeigt, wenn keine spezielle Indikation für eine stationäre Rehabilitation vorliegt.

2.2 Dauer der kardiovaskulären Rehabilitation

Die ambulante Rehabilitation dauert in der Regel 12 Wochen. Es existieren auch längere Programme mit progressivem Übergang in eine Herzgruppe. Die stationäre Rehabilitation dauert in der Regel 4 Wochen. In einzelnen Fällen kann sie auf 3 Wochen verkürzt werden, gelegentlich muss sie aber auch um eine oder mehrere Wochen verlängert werden.

2.3 Herzgruppen (Phase III)

Der Eintritt in eine Herzgruppe erlaubt im allgemeinen eine bessere Nachhaltigkeit der in der Phase II erreichten Lebensstilveränderungen. Sie erlaubt, die Langzeitprognose zu verbessern und sollte deshalb empfohlen werden. Eine Liste der Herzgruppen in der Schweiz ist einsehbar auf der Website der Schweizerischen Herzstiftung > Herzerkrankungen > Herzgruppen

 

15.3.2012